KI oder K.O.?
Warum gerade ein perfekter Pop-Hit
die Musikindustrie erschüttert
Dortmund, 10.10.2025
Ein Song aus dem Nichts
Die Diskussion um Künstliche Intelligenz (KI) in der Musik erreichte einen neuen Höhepunkt, als der renommierte Musikproduzent und YouTuber Rick Beato in der US-Sendung CBS Mornings am 16. August 2025 die Fähigkeiten des Musikgenerators Suno AI live demonstrierte.
Beato gab der KI einen präzisen Textbefehl – einen sogenannten Prompt – mit dem Ziel, einen vollwertigen, kommerziell verwertbaren Song zu erzeugen. Das Ergebnis war der Titel „Walking Away“, veröffentlicht unter dem KI-generierten Künstlernamen Sadie Winters.
Auch wenn die genaue Dauer des Generierungsprozesses nicht bekannt ist, war das Tempo atemberaubend: Innerhalb weniger Sekunden lieferte Suno nicht nur Musik und Gesang, sondern auch vollständige, emotional klingende Songtexte wie
„I was paper, you were scissors, cut me out. But I still linger every fold, every tear“ oder
„I was static, you were thunder, breaking me, pulling me under.“
Das Resultat: ein radiotauglicher Indie-Pop-Song, der in seiner Klangqualität viele überraschte – und zugleich die Frage aufwarf, ob dies der Beginn einer neuen Ära oder das Ende menschlicher Kunst sei.
Technische Perfektion oder kreative Leere?
Auf den ersten Blick scheint der Fortschritt beeindruckend. Die Geschwindigkeit, mit der Suno aus einem einfachen Textbefehl einen vollständigen Song erzeugt, demonstriert eine beispiellose Produktionseffizienz.
Für junge Musiker ohne großes Budget oder Studiozugang eröffnet sich damit ein demokratisches Werkzeug: Ideen lassen sich sofort hörbar machen, Skizzen können in Sekunden entstehen. Die Qualität des Outputs ist dabei so hoch, dass Hörer ohne Vorwissen kaum erkennen, dass sie einem KI-Stück lauschen.
Doch genau hier liegt die Schattenseite: Trotz der perfekten Struktur und des angenehmen Sounds klingt „Walking Away“ für viele Kenner austauschbar. Die KI reproduziert bewährte Muster aus ihren Trainingsdaten – aber keine echten Emotionen. Der Song wirkt glatt, makellos, aber auch seelenlos. Was fehlt, ist das Unvorhersehbare, das Menschliche – jener Moment, in dem Kunst mehr ist als Berechnung.
Die ethische Falle der Trainingsdaten
Ein weiterer Streitpunkt betrifft die Herkunft der musikalischen Intelligenz.
Suno AI kann nur deshalb komponieren, weil es zuvor unzählige, von Menschen geschaffene Werke analysiert hat – Werke, für die weder Zustimmung noch Vergütung der Urheber vorliegt.
Das fühlt sich an wie eine algorithmische Plagiat-Maschinerie, die rechtlich kaum zu fassen ist. Denn selbst spezialisierte Plagiat-Scanner würden in den KI-Ergebnissen wohl keinen klaren Urheberrechtsverstoß erkennen. Noch fehlen weltweit eindeutige Regelungen, wie KI-generierte Musik urheberrechtlich zu bewerten ist.
Damit profitiert der Output implizit von der Arbeit unzähliger Musiker – ohne deren Wissen, Anerkennung oder Bezahlung. Das bedroht nicht nur die wirtschaftliche Existenz von Songwritern und Session-Musikern, sondern auch das ethische Fundament der Kunstproduktion.
In philosophischer Hinsicht erinnert diese Situation an Platons Höhlengleichnis: Die KI sieht nicht die Welt, sondern nur deren Schatten. Sie kann imitieren, aber nicht erleben. Ihre „Kreativität“ ist keine, sondern bleibt ein Abbild menschlicher Werke – brillant berechnet, aber nie wirklich gefühlt.
Einstieg in den Stillstand
Neben der künstlerischen und ethischen Fragwürdigkeit birgt der Rückgriff auf einen bestehenden Musikfundus ein weiteres, sehr wesentliches Problem: Er ist grundsätzlich rückwärtsgewandt. KI-Musik entsteht nicht aus einem Impuls der Erneuerung heraus, sondern aus der Wiederverwertung bereits existierender Formeln. Sie rekombiniert das Bekannte – und produziert damit Stillstand statt Fortschritt.
Man stelle sich vor, es hätte in der Popgeschichte schon immer solche Systeme gegeben:
Ohne das revolutionäre Aufbegehren der 68er, ohne den rohen Protest des Punk, ohne die kreativen Explosionen von Elvis Presley, den Beatles, den Rolling Stones – und später Nirvana, Pearl Jam, Soundgarden, Hip-Hop oder Techno – wäre Musikgeschichte nie weitergeschrieben worden.
Eine KI, die ausschließlich aus vergangenen Daten schöpft, kann das Neue nicht erfinden.
Sie kann nur variieren, nicht revolutionieren.
Am Ende bliebe eine endlose Schleife des Vertrauten – so als würden wir bis heute die Schlager der 40er oder die immer gleichen Variationen des frühen Rockabilly-Sounds hören.
Was bleibt dem Menschen?
„Walking Away“ ist zweifellos ein technisches Meisterstück – ein Beweis dafür, dass Algorithmen heute Musik erschaffen können, die marktreif klingt. Doch diese Perfektion ersetzt keine Seele.
Die Zukunft der Musik liegt daher nicht in der völligen Ablösung des Menschen und seiner Ingenuität, sondern in einer hybriden Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine: Künstliche Intelligenz als Werkzeug für Geschwindigkeit und Inspiration, der Mensch als kreativer Filter, der Tiefe, Intention und emotionale Wahrheit einbringt.
KI im Studio – aber mit Haltung
Wir von due.west nutzen ebenfalls KI im Studio – sind also keineswegs grundsätzlich gegen diese Entwicklung eingestellt.
Allerdings setzen wir sie gezielt dort ein, wo sie tatsächlich unterstützt: in Software, die den Mix- und Masteringprozess erleichtert, indem sie etwa EQ-Kurven oder Kompressionsvorgänge vorschlägt, die sie für „ideal“ hält.
Tatsächlich hilft das, die eigenen Entscheidungen zu hinterfragen und alternative Ansätze zu prüfen. Doch das vermeintliche Ideal oder den Standard gibt es in der Kreativität nicht.
Deshalb weichen wir meistens bewusst von den vorgeschlagenen Automatismen ab.
Nichtsdestotrotz hilft uns KI, eine gewisse Distanz zum Musikstück aufzubauen und unsere eigenen Maßnahmen kritisch zu reflektieren – ein wertvoller Perspektivwechsel, der den kreativen Prozess bereichern kann.
Die entscheidende Aufgabe wird künftig sein, diese Technologie klug zu regulieren, damit sie menschliche Kreativität stärkt, statt sie zu verdrängen.
Denn Musik ist – und bleibt – mehr als nur berechneter und berechnender Klang.
Sie ist Ausdruck echter Emotion. Und genau dafür stehen wir ein bei due.west.
Mein Name ist Matthias Dümmerling, und ich weiß, wovon ich rede.

